In „Gemeinschaft und Gesellschaft“ hat Ferdinand Tönnies drei Formen von Gemeinschaft unterschieden: die Gemeinschaft des Blutes, die Gemeinschaft des Ortes und die Gemeinschaft des Geistes.
Im Zentrum seiner Überlegungen steht dabei die Gemeinschaft des Blutes, d.h. die Familie, während die Gemeinschaft des Ortes, d.h. Nachbarschaft, und mehr noch die Gemeinschaft des Geistes, d.h. Freundschaft, Nachfolgemodelle mit zusehends schwächer werdender Bindungskraft sind. Mit anderen Worten, repräsentiert die Familie eine Gemeinschaft in Reinkultur, während alle folgenden Vergemeinschaftungsformen darin ihren Idealtypus, ihre Norm besitzen, zugleich aber auch Abweichungen von dieser Norm darstellen, man könnte durchaus auch von Schwundstufen des Gemeinschaftlichen sprechen.
Betrachtet man diese Reihe nun mit Berger/Luckmann, auf der Grundlage ihrer These von der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit, ist alles Soziale Konstruktion, d.h. Produkt von Kommunikation und Sinngebung, somit auch jede Form von Gemeinschaft. Daß dabei Begründungsmuster auftauchen, die die Konstitution bestimmter Gemeinschaftsformen auf das Blut oder Nachbarschaft zurechnen, also auf per se nicht-kommunikative Tatsachen, tut dem kein Abbruch, ist es doch nur ein Selbstbegründungs- und Legitimationsmuster, das die soziale Existenz einer Gemeinschaft auf nicht-soziale, d.h. nicht sprachlich vermittelte Umstände zurechnet, also selbst wieder Kommunikation.
Von dieser Warte aus läge es aber nahe, die Reihenfolge umzustellen. Demnach würde es nicht mit der Gemeinschaft des Blutes beginnen, sondern mit der Gemeinschaft des Geistes, hier nicht als Freundschaft gedacht, sondern als ein mehr oder weniger bewußt initiierter, zumeist auf Tradition beruhender Konstitutionsprozeß, bei dem Kommunikation maßgebend ist, wie präreflexiv auch immer diese verläuft. Selbst eine Gemeinschaft des Blutes, d.h. Familie, wäre demnach ein soziales Ereignis, die Emergenz einer ganz bestimmten sozialen Ordnung.
Eine solche Umstellung hätte den Vorteil, die naturalistische Tendenz bei Tönnies außen vorzulassen, Bindung durch Blut, durch Blutsverwandschaft trieft davon ja regelrecht.
Wenn es aber kein Naturereignis ist, daß Gemeinschaft zustande kommt, sondern kommunikativer Anstrengung bedarf, taucht die Frage danach auf, woran man dann die unterschiedlichen Formen von Gemeinschaft im Sinne Tönnies‘ festmachen kann.
Eine Möglichkeit wäre, hierbei nicht binär, sondern analog zu denken und von Graden der Nicht-Kontingenz zu sprechen. Mit anderen Worten: Die soziale, vielleicht auch psychische Qualität einer Gemeinschaft bemißt sich danach, in welchem Maße sie als unaustauschbar, als nicht substituierbar, als alternativlos empfunden, erlebt und behandelt wird. Für die eigene Herkunftsfamilie gilt dies zumindest augenscheinlich, solange wir nicht alle als Retortenbabys zur Welt kommen. Für Nachbarschaften und Freundschaften, sofern sie länger währen, ähnlich. Aber schon die Zunahme an geographischer oder sozialer Mobilität könnte bedeuten, daß der Eindruck von Nicht-Kontingenz hinsichtlich solcher Gemeinschaftsformen rapide abnimmt. Im Ergebnis führt dies dazu, daß sich das Gemeinschaftliche zusehends verliert, je austauschbarer die Beziehungen werden, die wir dergestalt einnehmen.
Läßt sich das nicht messen? Grade sozialer Nicht-Kontingenz?
Man könnte dies übrigens negativ wie positiv angehen: negativ insofern, als Verlustängste gemessen, positiv insofern, als Gewinnerwartungen ermittelt werden. In der Loyalitätsforschung, bezogen auf Markenartikel, ist dies gang und gäbe, um den Grad der Bindung eines Konsumenten an eine bestimmte Marke (Markenbindung) zu erforschen.
[…] Aspekt läßt sich nun unvermittelt auf den Beitrag zur Frage der Meßbarkeit sozialer Inkontingenz beziehen, geht es darin doch um die […]